Lerngruppenanalyse

Die Projektklasse (8. Klasse) der Wöhlerschule setzt sich aus einer relativ homogenen Gruppe von 30 Schülerinnen und Schülern zusammen. Innerhalb der Klasse besteht ein durchweg positives und harmonisches Klima, das auf die enge Freundschaft untereinander, aber auch auf die gute Beziehung zu ihrem Klassenlehrer zurückzuführen ist. Dies war auch an unserem Projekttag spürbar. Das Sprachniveau der Klasse ist trotz ihres Alters sehr hoch und die SchülerInnen sind, abgesehen von wenigen Ausnahmen, sehr leistungsstark. Sowohl während der Vorbereitungen als auch am Projekttag selbst waren die SchülerInnen sehr motiviert mitzuarbeiten. Daraus lässt sich aber auch schließen, dass ihnen der Englischunterricht generell viel Spaß bereitet. Dies spiegelt sich auch in ihren Noten wider.

Themenauswahl und Sachanalyse

Im hessischen Lehrplan Englisch Sek I wird die Behandlung des Themas USA in der Landeskunde vorgesehen, welches sich bespielsweise auf "city", "region" sowie "aspects of history" etc. konzentrieren kann. Da sich das Schuljahr dem Ende des Schuljahres näherte und die meisten Themen, die im Lehrplan vorgesehen sind, schon bearbeitet worden waren, entschieden wir uns für die Einbindung unseres Projekttages in den landeskundlichen Bereich.

Die USA stellen einen wichtigen Themenkomplex im Lehrplan dar. Die in einer kleinen Kolonie in Jamestown gegründete heutige Weltmacht ist aus dem Lehrplan nicht mehr wegzudenken. Allgemein konzentriert sich der Englischunterricht aber nur auf ihre Gründung, die unmittelbar folgende Geschichte sowie die Politik in den Vereinigten Staaten. Die Amerikaner spielen jedoch vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle in Deutschland und ihre Präsenz ist sowohl in ihren Niederlassungen sehr auffällig als auch in der Gesellschaft durchaus. Dies zeigt sich vor allem in Form von Wohnungssiedlungen, eigener Radiostationen oder Militärstützpunkte.

Eine dieser Militärstationen ist die von uns besuchte Julius D. Clay Kaserne, ein Army-Airfield, in Wiesbaden-Erbenheim. Benannt ist sie nach dem US-General Lucius D. Clay und weist eine 100 Jahre alte Tradition auf. Die Kaserne steht seit 1945 auf einer ehemaligen Rennbahn sowie einem Flugplatz des Vereins der Mittelrheinischen Flughafen GmbH. Nach der Besetzung des Geländes entstand dort ein größerer amerikanischer Militärflugplatz und zwischen 1948-1953 war dort das Europa-Hauptquartier der US Air Force untergebracht. Seit 2012 hat Colonel Mary Martin die Leitung der Kaserne inne.

1) verwaltung.hessen.de/irj/HKM_Internet Hessisches Kultusministerium, Lehrplan Englisch. Gymnasialer Bildungsgang 2010, S. 25

Didaktische Analyse

Im Mittelpunkt unseres Projekts steht die interkulturelle Begegnung der Schüler mit Angehörigen der amerikanischen Gesellschaft und Kultur. Das übergeordnete Ziel ist somit die Förderung der interkulturellen Kompetenz. Thomas 2003 definiert interkulturelle Kompetenz als die „Fähigkeit, kulturelle Bedingungen und Einflußfaktoren [sic] in Wahrnehmen, Urteilen, Empfinden und Handeln bei sich selbst und bei anderen Personen zu erfassen, zu respektieren, zu würdigen und produktiv zu nutzen im Sinne einer wechselseitigen Anpassung, von Toleranz gegenüber Inkompatibilitäten und einer Entwicklung hin zu synergieträchtigen Formen der Zusammenarbeit, des Zusammenlebens und handlungswirksamer Orientierungsmuster in Bezug auf Weltinterpretation und Weltgestaltung“ (zitiert nach Erll 10). Diese Fähigkeit ist in einer globalisierten und internationalen Welt, wie der unseren, eine unabdingbare Voraussetzung für die selbstständige und kompetente Partizipation in der Gesellschaft. So ist die Vorbereitung der Schüler auf die Internationalisierung unserer Lebenswelt durch den Erwerb der Fähigkeit, interkulturelle Missverständnisse zu antizipieren und zu vermeiden, integraler Bestandteil des schulischen Bildungsauftrags geworden (Mall 111ff.).

Unser Projekt ermöglicht den Schülern eine interkulturelle Interaktion innergesellschaftlicher Natur, d.h. sie agieren mit Mitgliedern einer anderen Kultur innerhalb des für sie gewohnten gesellschaftlichen und kulturellen Umfelds. Diese Erfahrung ist für die Schüler deshalb von besonderer Relevanz, weil interkulturelle Kontakte im innergesellschaftlichen Kontext für jeden Einzelnen in einer von Migration geprägten Gesellschaft zum alltäglichen Leben gehören (Erll 10). Die im Zuge des Projekts stattfindende Begegnung ermöglicht zudem die Förderungen von Komponenten aller drei Teilkompetenzen, aus denen sich die interkulturelle Kompetenz als Ganzes zusammensetzt (Erll 11-14).

Die kognitive Kompetenz wird nicht nur gefördert, da sich die Schüler im Zuge der Interviews Wissen über die amerikanische Kultur aneignen. Vielmehr wird in den Gesprächen mit den Amerikanern auch die Selbstreflexivität angeregt. Diese ist für die Identitätsbildung eines Jeden unabdingbar (Erll 12 und 64). Indem sich die Schüler nicht ausschließlich mit der "amerikanischen" Kultur aus Sicht von Amerikanern beschäftigen, sondern auch mit der Frage, wie sehen Mitglieder einer anderen Kultur Angehörige der "deutschen" Kultur und Gesellschaft, müssen sie die eigenen Standpunkte, Werte und Normen hinterfragen und gegebenenfalls angleichen. Die Selbstdefinition, die bisher zum größten Teil allein in der Interaktion innerhalb des eigenen, bekannten Kulturkreises stattgefunden hat, muss mithilfe des Vergleiches von Eigen- und Fremdbild neu erfolgen (Erll 63; Roche 41f.).

In gleicherweise wird auch die Reflexion des eigenen Standpunktes gegenüber der anderen Kultur angeregt. Der unmittelbare Kontakt mit Amerikanern und das neue Wissen, das aus diesem hervorgeht, ermöglichen es den Schülern, ihre bisherige Meinung zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Dieser Schritt ist eng mit der affektiven Teilkompetenz verbunden. Denn er kann nur basierend auf Aufgeschlossenheit gegenüber der anderen Kultur und einem gewissen Maß an Fremdverstehen erfolgen (Erll 63f.). Dabei soll vor allem der außerschulische Kontext des Freundschaftsfestes am Rande einer Militärbasis, einer Lebenswelt, die den Jugendlichen bisher unbekannt ist, das Interesse der SchülerInnen als notwendige Grundlage für die erfolgreiche Aufgabenbewältigung geweckt werden. Auch die Förderung der Ambiguitätstoleranz, der Fähigkeit, mit Widersprüchen und Gegensätzen zwischen dem eigenen Standpunkten und denen des Gegenübers angemessen umzugehen (Erll 65), findet in der Beschäftigung mit dem Eigen- und Fremdbild von der eigenen Kultur sowie in der Auseinandersetzung mit der Kultur des Gegenübers im Vergleich und auch in Abgrenzung zum eigenen kulturellen Hintergrund statt. Die Förderung der Ambiguitätstoleranz ist vor allem in Hinblick auf die Kontrollüberzeugung von besonderer Bedeutung. Diese ist eine Komponente der pragmatisch-kommunikativen Teilkompetenz und ergibt sich aus dem Bewusstsein für die Kulturgebundenheit von Kommunikation sowie aus den entsprechenden Strategien zur Bewältigung von Problemen, die innerhalb der interkulturellen Kommunikation auftreten können (Erll 65f.).

Jede interkulturelle Begegnung ist mit dem Erlernen von Kommunikations- und Problemlösungsstrategien verbunden, auch die Aufgabe in unserem Projekt. So müssen die Schüler für sich Mittel und Wege finden, die Interaktion mit ihrem Gegenüber produktiv und ergebnisorientiert zu gestalten. Dabei haben sie aufgrund der wechselnden Gesprächspartner die Möglichkeit, diese Strategien in unterschiedlichen Kommunikationskontexten anzuwenden und auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.

Neben der interkulturellen Kompetenz werden zudem sprachliche Fähigkeiten, wie etwa speaking und listening skills gefördert. Die Schüler verlassen ihr gewohntes Unterrichtsumfeld und sind gezwungen, in einem ihnen neuen und authentischen Kommunikationsumfeld mit Muttersprachlern zu sprechen, ihren Gesprächspartnern zuzuhören und angemessen auf das Gesagte zu reagieren. Zudem wird auch die Fragekompetenz als eine wichtige Schlüssel- und Methodenkompetenz, nicht nur im fremdsprachlichen Bereich, geschult. Wenngleich die Fragen im Vorfeld gemeinsam im Klassenverband erarbeitet wurden, müssen die Schüler unmittelbar im Gespräch mit ihren Gegenüber überprüfen, ob die Fragen geeignet sind, die Informationen zu erfragen, die sie erhalten möchten und entsprechend zu reagieren, wenn dies nicht der Fall ist. Damit bleibt der Aufgabe und ihrer Lösung trotz der gemeinsamen Vorbereitung und Produktorientierung am Ende des Projekts die Offenheit erhalten, die ein wichtiges Merkmal von Kompetenzaufgaben ist (Hallet 12f.). Zudem finden auch der Lebensweltbezug, die hohe Komplexität und die Kompetenzentwicklung als Charakteristika einer der Kompetenzorientierung entsprechenden Aufgabe Berücksichtigung in der von den Schülern im Zuge unseres Projekts zu bewältigenden Performanzsituation.

 

Literatur

  • Erll, Astrid/Gymnich, Marion (2007): Interkulturelle Kompetenzen – Erfolgreich kommunizieren zwischen den Kulturen, Stuttgart: Klett.
  • Hallet, Wolfgang (2012): Die komplexe Kompetenzaufgabe. Fremdsprachige Diskursfähigkeit als kulturelle Teilhabe und Unterrichtspraxis, in: Hallet, Wolfgang/Krämer, Ulrich (Hrsg.), Kompetenzaufgaben im Englischunterricht. Grundlagen und Unterrichtsbeispiele. Seelze: Klett, S. 8-19.
  • Mall, Ram A. (2006): Von interkultureller Kompetenz zur interkulturellen Verständigung, in: Antor, Heinz (Hrsg.), Inter- und Transkulturelle Studien. Theoretische Grundlagen und interdisziplinäre Praxis. Heidelberg: Winter, S. 109-118.
  • Roche, Jörg (2001): Interkulturelle Sprachdidaktik: Eine Einführung, Tübingen: Narr.

Merve Bedir, Henrike Bogacki, Bianca Wochner und Sükran Karadas, Americans in Germany, in: USE: Universität Studieren / Studieren Erforschen, 10.02.2016, URL: http://use.uni-frankfurt.de/pbl/americans/.

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