„Frühaskanische Landnahme im brandenburgischen Havelland (gezeigt am Beispiel des Glin)“

Auf dem Höhepunkt deutscher Expansion, 1942, erschien Heinrich Harmjanz‘ Monografie zur Volksforschung in der Reihe „Beihefte zur Zeitschrift für Volkskunde“ im Ahnenerbe-Stiftung Verlag. [1] Harmjanz war zu dieser Zeit in Führungsposition im „Ahnenerbe“ der SS und bis zur kriegsbedingten Einstellung ein Jahr zuvor auch Herausgeber der „Zeitschrift für Volkskunde“; in dieser Arbeit beschäftigt er sich mit der mittelalterlichen Besiedlungsgeschichte des Glin, eines Landstriches nordwestlich von Berlin und nahe von Harmjanz‘ Geburtsort Neuruppin, durch das deutsche Adelsgeschlecht der Askanier. Harmjanz begründet sein Interesse am Glin mit dessen bislang unzureichender Erforschung trotz seiner „entscheidende[n] Bedeutung in militärischer, siedlungsgeschichtlicher und bevölkerungsmäßiger Hinsicht“ (S. 1) für die brandenburgische Mittelmark. In seiner Einleitung legt Harmjanz besonderen Wert darauf, dass es ihm hauptsächlich um die „deutsche Landnahme“ (S. 1) und in diesem Zusammenhang um die Herkunft und Ziele der deutschen Siedler ginge und weniger um die Frage, wie „die gewiß nicht geringe nichtdeutsche Bevölkerung in so kurzer Zeit volkstumsmäßig im Deutschtum aufgehen konnte“ (S. 1).

Im ersten Kapitel „Die Landnahme“ erläutert Harmjanz, dass der Glin bereits zu Lebzeiten Albrechts des Bären (bis 1170) militärisch von den Askaniern annektiert worden sein müsse, aber dass die deutsche Besiedlung des Gebiets erst sein Sohn Otto I. miterlebt haben könne (S. 11). In den folgenden Kapiteln geht Harmjanz auf die Dörfer der Gegend ein und untersucht ihre Entwicklung und die Herkunft ihrer Einwohner u. a. anhand der Etymologie der Ortsnamen (S. 13f.), der Grundrisse der Dörfer (S. 18ff.) und der Siedlungsgeschichte einzelner beispielhafter Ortschaften (S. 32ff.). Dabei gelangt er erst zu der Einschätzung, dass der Glin (und auch die nahegelegene Gegend des Bellin) nicht zum selben Zeitpunkt wie das restliche Havelland besiedelt worden sein könne (S.15f.) und schließlich zu der Feststellung, dass der Glin die letzte Gegend des Havellandes sei, die „in deutsche Hand gekommen“ (S. 50) sei. Nach einem letzten Kapitel über „Abgaben und Bevölkerungsverhältnisse“ kommt Harmjanz zu dem Schluss, dass die nichtdeutsche Bevölkerung des Glin auf bürokratischem Wege „,germanisiert‘“ (S. 60) worden sei: Die ansässigen slawischen Ljutizen seien ohnehin den deutschen Siedlern sehr ähnlich gewesen und in keiner Weise anders behandelt worden, sodass sich für sie lediglich der Empfänger ihrer Abgaben geändert habe. Die Assimilierung der nichtdeutschen Bevölkerung sei also durch die „Einführung einer deutschen Steuereinrichtung und eines deutschen Abgabeverfahrens“ (S. 60) erfolgt. Harmjanz fasst sein Ergebnis wie folgt zusammen:

„Die unter den ersten Askaniern angesetzten deutschen Bauern aus den links-elbischen Gebieten haben allein im Zusammenhang mit den agrarrechtlichen und steuermäßigen Verwaltungsmaßnahmen des Landesherrn das Havelland schon Ende des 14. Jahrhunderts dem Deutschtum kulturell völlig erschlossen.“ (S. 60)   

Es fällt auf, dass innerhalb von Harmjanz‘ Untersuchung keinerlei aktuelle Bezüge zu finden sind, wie sie 1942 bei einer Arbeit zur Siedlungsgeschichte, zur „Eindeutschung“ eines slawischen Volksstammes und bei Erscheinen im Ahnenerbe-Stiftung Verlag wohl zu erwarten wären. Ausschließlich durch die Paratexte erhält Harmjanz‘ Werk eine aktuelle Dimension, wenn er in der Einleitung gerade nicht die Assimilierungspraxis der Askanier zum Primärziel seiner Untersuchung macht und in seinem Schlusswort die mittelalterlichen Vorgänge im Glin nicht als „Gradmesser von Eindeutschungsverfahren“ (S. 60) wertet. Möglicherweise war die Einrahmung der Forschungsarbeit zumindest mit Anspielungen auf aktuelle Geschehnisse der Versuch einer Ausweitung der Zielgruppe.   

 

Niklas Horlebein


 [1] Heinrich Harmjanz, Frühaskanische Landnahme im brandenburgischen Havelland (gezeigt am Beispiel des Glin). Berlin 1942.